Eingeschlagene Möwen vom Fenster kratzen, ihr Blut mit Reinigungsmittel mischen und es an den Scheiben so verteilen, dass eine klare Durchsicht ermöglicht wird. Toller Zeitvertreib. Ich bin mir sicher, dass an diesem Konferenzraum schon 20 Möwen starben. Blicke ich zurück, sehe das Ufer nahe dem Strand am Hochhaus, erblicke ich salzluftschnuppernde Bonzen in Anzügen. Wäre ich Möwe, so würde ich eher die Champagnerspaziergänger einscheißen als vom Blut meiner Verwandten, das seicht am Fenster verteilt gemischt angelockt zu werden um wie sie zu enden.
Steckengebliebene Schnäbel stecke ich ein, ich sammel sie schon länger als ich sonstige Leidenschaften je ausleben kann.
Herr Hansen tritt ein, würdigt mir jedoch kaum eines Blickes. Ich bin eine Selbstverständlichkeit, abgetrennt von Glas. An der Grenze der Schichten von Verdienst und Hungerlohn. Ich hasse seine Krawatte, sie bedeutet Wochenende. Wochenende am Mittwoch.
Seine Sekretärin Marie, früher nannte ich sie Susi, tritt ein. Sie ist das einzig schöne in diesem Stockwerk. Ebenso wie Hansen besitzt sie ihren Namen nur, weil die Namen ihren Charakter für mich repräsentieren. Ich kenne sie nicht persönlich, werde es wohl auch nie.
Nunja, gleich werden die Jalousien sich schließen und beide werden zu ihren geschäftlichen Mittwochsdiensten greifen. Der übliche Wochenendfick, bevor er wieder seinen Helikopter nimmt und seine Kinder besucht. Einst hinterließ ich ein Spiegelverkehrtes "Flieh" geschmiert in der Scheibe um ihr eine Hoffnung, einen Wink zu geben. Doch der Regen hier war nie mein Freund.
Tropfen, die mir in den Nacken wehen und unter meinem Hemd den Rücken herunterstreifen.
Noch lässt er auf sich warten, der Sauerwassergeladene Flüssigkeitssprüher des Novembers. Heute soll es stürmen, doch mit gesicherten Gurten lasse ich mich nicht abhalten.
Nur noch 2 Hochsicherheitsgläser und ich bin bereit für meine Kündigung. Ein Knopfdruck und meine Gondel bewegt sich nach unten, zu den Robotersklaven in ihren Kabinen des Büros.
Hier sitzen halbe Hemden, geschmierte Frisuren und PC-Beziehungen. Ab und an tauscht man ihre Stellungen und neue Personen finden einen neuen Platz hier. Ob sie gefeuert oder einfach ausgetauscht und gewechselt werden ist mir nicht bewusst. Jedoch ist das Blut des letzten Kerls teilweise immer noch an der Innenseite der Scheibe zu sehen. Ein ziemlich junger Kerl, der sich von einem zum nächsten Moment die Hand an den Schreibtisch getackert hat als der Sicherheitsdienst seinen Schreibtisch leeren wollten. Er lebte wohl für seinen Tisch. Ich vermute daheim wartete nichts für ihn, keine Frau keine Kinder kein Leben. Ich hätte ihn einen Schnabel geschenkt. Einen von den 20 in meiner Tasche, zwischen den Putzmitteln.
Es tröpfelt auf die Scheiben, der Sturm zieht auf. Ich drehe das Volumen auf, mein MP3-Player war die teuerste Investition in diesem Jahr. 49€ Sonderangebot. Und ich besitze nur diese drei Lieder, von denen eines nur die Testmelodie des MP3-Players ist. Das zweite ist für besondere Notfälle. Weshalb ich das dritte während der Arbeit auf Repeat laufen lasse.
Das Lied ist von Hagalaz´ Runedance und heißt "On Wings of Rapture". Je stärker der Wind desto öfter erwische ich mich wie ich die Augen schließe und mich als fliegenden Adler vorstelle. "Dragon fly, Dragon fly. Through my eyes to the soul so old, from where?".
Meine Augen öffnen sich, vom inzwischen peitschenden Regenschauer im Nacken. Federn schweben an mir vorbei im Takt des Windes. Taktlos, aber ästhetisch. Eine Taube wollte Möwenreste lecken und endete wie seine Flugverwandten. Ich fahre die Gondel zu der feststeckenden Taube die wild kämpft in einem Tempo eines analogen Kampfdroiden.
"Dragon fly. Dragon fly. Spirit so young, filled with dreams and hopes... Never grow old"
Ich komme nicht bis ganz nach oben, die Winden haben sich verhedert am Flaschenzug des Fahrgestells.
Taube, bleib ruhig. Ich schnalle mich vom Sicherheitsgurt ab und Trete auf die Sicherheitsbrüstung, ramme jedoch mit der Schulter gegen das Glas, da ein Windzug mich beinahe den Taxiständen weit unten entgegengebracht hätte. Die Jalousien öffnen sich, doch mein Blick gilt der Taube die ich nur auf Zehenspitzen am Körper erreiche und mit einem sanften Ruck sie befreie. Ballancierend auf dem Geländer halte ich sie in meinen Armen und entdecke in Zeitlupe die Blicke von Herrn Hansen und Marie, nackt in einem römischen Kostüm. Er, der fette Cäsar und sie eine römische Soldatin starren mit Wichspuppengesichtern, das heißt offenen Mund und offenen Augen erstarrt in meines.
Ich arbeite doch seit Jahren hier, ihr kennt mich, manchmal hättet ihr mir winken können ihr Einwohner. Ich wollte doch nur dem Tier hier helfen. Ihm seinen Schnabel entnehmen. Es wäre der erste Taubenschnabel in meiner Tasche.
Ich schaue zur Taube die ebenfalls in einer Zeitlupenartigen Bewegung den beiden Personen innerhalb des Raumes winkt. Und dann.....
Dreht sich mein Blick ungewollt um 60 Grad gegen den Uhrzeigersinn nach oben. Ich sehe meine Gondel an mir vorbeifahren und überhole Regentropfen.
Die Augen der Taube wirken, wie alle Augen von Flugtieren panisch schaut man ihnen ins Gesicht. Ich halte sie jedoch fest und behüte sie um sie zu beruhigen. Ebenso versuche ich eine vertikale Position zu erhalten, bleibe jedoch in der Horizontalen. Die Regentropfen die auf meinen Rücken kleben bleiben, entweichen meiner Haut und schweben von mir davon. Als wäre der Himmel vor mir ein Staubsauger.
Ich glaube, nein, ich bin mir sicher gerade zu kündigen. Fick dich Job, fick dich Hansen, fick dich Chef. Die Taube wird mein neuer Freund in der nächsten Zeit. Ihre Krallen bohren sich so wundervoll leidenschaftlich in meine Brust während, das Geräusch der Straße unter mir lauter wird.
Warum so eine Panik, Taube? Ich nenne dich Drago. Hallo Drago, beruhige dich. Wir sind jetzt Freunde. Du darfst deinen Schnabel behalten. Wenn wir am Boden sind, dann sind wir sicher. Und wenn du dich unsicher fühlst, darfst du auch gern in dein Zuhause zurückkehren, in die Luft.
Erinnerungen von früher wollen sich vor meinen Augen bilden. Aber ich lausche dem letzten Vers des Liedes als mein Rücken den Kopf eines Kindes so wie die Brüste einer vermutlichen Mutter erschlägt und ich dem Boden nahe bin. So schlimm ist das gar nicht, man spürt im letzten Moment nichts mehr. Vermutlich sind all die Empfindungen mit dem Brechen der Wirbelsäule verschwunden.
Ich will dem netten Herrn der in der Nähe von mir gebeugt über mir steht Hallo sagen, doch spucke mich mit einem Blutregengemisch voll. Dabei entdecke ich, dass die Taube meinem vorherigen festen Griff entfliehen konnte und mir davon flattert.
"Dragon fly, Dragon fly! Broken Wings chained until the end. Beauty that will die"
(Bericht aus der Tageszeitung:)
Der mutmaßliche Taubenfänger vom Hochhaus an der 27sten entpuppte sich als Putzkraft für die Außenreinigung. Die abgerissenen Schnäbel in seiner Tasche die gefunden wurden stammen von bereits verstorbenen Tieren. Es ist jedoch noch unklar ob Tieraktivisten ihn vom Dach stießen, während er sich einer Taube widmete.
Die Tierschützer, die auf ihn eintraten als er verstarb werden am kommenden Mittwoch einen milden Prozess erwarten dürfen.
Indizen deuten inzwischen auf einen Selbstmord. So sprachen Kollegen von seinen Plänen des Ausstiegs. "Hansi wollte seinen letzten Tag beim Sturm absolvieren. Wir wollten ihn abhalten, aber er drehte nur seine Musik lauter und sprach von einem Drachen". Zitat des Kollegen.
genial o.0
AntwortenLöschenAlso ich muss sagen, du hast wahrlich ein Talent für Worte und Sprache, weißt dieses einzusetzen und sinnvoll mit sinnvoller Sinnlosigkeit des Sinnes zu schreiben. Die Geschichte gefällt mir sehr gut, wirklich großes Lob an dich und deine Sprachgewandtheit! :)
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